Bürgerbeteiligung

Bürgerdialog im Eurodistrikt - 2021

Mit dem Ziel, den Bürgerinnen und Bürgern eine Plattform für die Diskussion ihrer Ideen und Erwartungen zu der grenzüberschreitenden Weiterentwicklung des gemeinsamen Gebiets und zu Europa zu geben, luden der Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau und das Euro-Institut durch sein Projekt TEIN4Citizens vom 13. bis zum 22. April 2021 zu einem deutsch-französischen Bürgerdialog mit dem Titel: „Bürgerdialog im Eurodistrikt - Mobilität, Umwelt, Kultur, Identität & Mehrsprachigkeit - grenzenlos in Europa?“.

Thematische Online-Workshops

Trotz des pandemiebedingt gewählten Onlineformats war die Veranstaltung auch in ihrer fünften Ausgabe ein voller Erfolg. Mehr als 230 Bürgerinnen und Bürger diskutierten in insgesamt acht Workshops mit politischen Vertreterinnen und Vertretern der Eurodistrikt-Mitgliedsstädte beider Rheinseiten, was in ihren Augen in den Bereichen Mehrsprachigkeit, Kultur, Mobilität und Umwelt, den vier Prioritätsthemen des Eurodistrikts unter der aktuellen deutschen Präsidentschaft, vordergründig angegangen werden sollte. Geleitet wurden die Diskussionen dabei von der Dreiteilung „Was kann ich tun?“, „Was brauche ich von der lokalen Ebene?“, „Und was von Europa?“. Der Großteil der genannten Anliegen zielte dabei auf eine Erleichterung des grenzüberschreitenden Alltags.

So kristallisierten sich in regen Debatten in den verschiedenen Themengruppen als konkrete Forderungen beispielsweise ein einheitlicher ÖPNV-Tarifverbund mit attraktiven Preisen und einfachen Ticket-Kaufmöglichkeiten beiderseits des Rheins, ein besseres Fährangebot für Fußgänger und Radfahrer, ein direkterer Zugang zu mehrsprachigen Zeitungen und Filmen, aber auch die Gründung grenzüberschreitender Energiegenossenschaften sowie eine rheinübergreifend engmaschige Überwachung der Luftqualität heraus. Zudem forderten viele der Teilnehmer für eine bessere Sprachausbildung an den Schulen und eine durchgehende Förderung der Sprache des Nachbarlandes ab der Grundschule.

Auch an die Medien richteten sich einige Anliegen, wie etwa der Wunsch nach mehr Mehrsprachigkeit in der Berichterstattung der lokalen Presse – etwa durch die Einrichtung eines deutsch-französischen ‚Journalisten-Pools‘ mit Vertretern aus Zeitung, Rundfunk, Fernsehen und Internet-Blogs.

Themenübergreifend wurde außerdem mehrheitlich der Wunsch nach einer besseren grenzüberschreitenden Vernetzung von Akteuren und von Kommunikation, nach „Möglichmachern“ zur Unterstützung von Bürgerengagement und Projekten, sowie nach mehr Verbindlichkeiten bei der Umsetzung von gemeinsam definierten Strategien laut.

Abschlussveranstaltung

Darüber, wie die verschiedenen Bürgerforderungen an verantwortlicher politischer Stelle umgesetzt werden können, diskutierten Eurodistrikt-Präsident Frank Scherer und Eurodistrikt-Vizepräsidentin Jeanne Barseghian am 22. April 2021 bei einem mit über 100 zugeschalteten Teilnehmenden gut besuchten Runden Tisch gemeinsam mit der Europa-Abgeordneten Anne Sander, mit Nathalie Verschelde der Europäischen Kommission, Josha Frey, Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg, Vizepräsident des Oberrheinrats und des Euro-Instituts, Anthony Soares des Centre for Cross Border Studies Nordirland sowie Thomas Richomme, Student der Sciences Po in Straßburg.

Landrat Frank Scherer und die Straßburger OB Jeanne Barseghian freuten sich über die rege Beteiligung und darüber, dass mit den Diskussionen auch ein Sprachrohr für die Bürgerinnen und Bürger von der lokalen hin zur europäischen Ebene geschaffen werden konnte. Sie betonten übereinstimmend, wie wichtig ein rheinübergreifender Austausch mit den Menschen vor Ort sei. Sowohl um den gemeinsamen Lebensraum zu formen, als auch um die deutsch-französische Freundschaft und Europa in den Herzen der Menschen zu verankern und gerade in der aktuellen Krisenzeit mit Leben zu füllen. Denn, so Barseghian, „Europa ist das, was wir jeden Tag daraus machen und es ist in erster Linie das Europa seiner Bürgerinnen und Bürger“.

Nach ihren persönlichen Idealvorstellungen von europäischen Regionen gefragt, zeichneten die Redner das Bild von gemeinsamen Lebensräumen ohne Grenzen, weder in den Themen noch in den Köpfen der Menschen. Allumfassender Leitfaden hierfür sei insbesondere der Bereich der Mobilität. „Wir müssen eine echte Nahverkehrsmobilität in einer Raumschaft über den Rhein hinweg auf die Beine stellen. Das spielt dann auch in die Hände der Mobilität, die wir uns kulturell und sprachlich wünschen“, betonte Eurodistrikt-Präsident Scherer. Denn ohne Begegnung gebe es auch keine Motivation, die Sprache und Kultur des anderen zu lernen.

Blick auf die lokale Ebene

Bezüglich der Bürgererwartungen an die Lokalpolitik zeigten sich Scherer und Barseghian erfreut, dass die genannten Anliegen in vielen Punkten den Vorhaben entsprechen, die sich der Eurodistrikt für die kommenden Jahre in seinem Aktionsplan Mobilität oder auch im Klimaschutz bereits gesetzt hat. Zudem nahmen sie als konkrete Handlungsaufforderungen mit, die Förderung von Austausch auf alle Altersgruppen, nicht nur vordergründig Schulkinder, auszuweiten und die Vernetzung der Kulturakteure noch stärker zu unterstützen. Als erste Maßnahme kündigt Scherer eine Re-Start-Kampagne für Kleinkultur an, für die der Eurodistrikt eigens 40.000 € an Fördermitteln im Haushalt eingeplant hat. Auch der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger nach mehr Verbindlichkeit und einer engeren Abstimmung der Politikakteure und Ebenen untereinander sei gehört worden, ergänzte Barseghian.     

Blick auf die europäische Ebene

Da sich gerade in Grenzregionen nicht nur die Chancen grenzüberschreitender Zusammenarbeit, sondern auch die Herausforderungen unterschiedlicher Zuständigkeiten wie unter einem Brennglas zeigen, wurde in der von Anne Thevenet, der stellvertretenden Direktorin des Euro-Instituts, geleiteten Abschlussdiskussion der Blick ebenfalls auf die europäische Ebene gelenkt. Hier forderten die Bürgerinnen und Bürger vor allem eine bessere Abstimmung und Harmonisierung von unterschiedlichen nationalen Rechtsprechungen und Systemen, um alltägliche Probleme wie Geoblocking oder die Anerkennung von Umweltplaketten zu beheben, aber auch um eine bessere Kontrolle der Einhaltung von EU-Normen, zum Beispiel im Bereich der Luftreinhaltung, zu erwirken. Zentraler Punkt der Diskussion war dabei, dass Europa und die Nationalstaaten oft noch zu weit weg von den Bedarfen der Grenzregionen seien. Auch die Zerstückelung der Kompetenzen, die meist noch an Ländergrenzen halt machen, sei ein grundlegendes Hindernis für die Entwicklung von Grenzregionen hin zu eigenständigen Gebietskörperschaften, erläuterte Nathalie Verschelde. Ausgleichend wirken könnte hier, so Anne Sander, der europäische grenzüberschreitende Mechanismus (ECBM), von dem sich auch die lokale Ebene viel erhofft, der jedoch, so Josha Frey, aufgrund einer Blockierung durch die Nationalstaaten leider seit drei Jahren im Bermudadreieck verschollen zu sein scheine. Auch Landrat Scherer bekräftigte erneut, dass eigene Kompetenzen dringend gebraucht werden, damit die Eurodistrikte selbst und schnell agieren und die genannten Hürden im Sinne der Bürger lokal überwinden können. Zur Sprache kamen in diesem Zusammenhang ebenfalls die benötigten Fördermittel, bei denen es eines Umdenkens bedürfe. Zwar stünden, so der Eurodistrikt-Präsident, auf EU-Ebene Fördertöpfe bereit, um große Infrastrukturprojekte zu fördern, jedoch müssten für die lokale Ebene vielmehr Fördermöglichkeiten generiert werden, mit denen ganz konkrete, einfache und günstige Bürgeranliegen wie beispielsweise eine grenzüberschreitende Buslinie umgesetzt werden können.

Einen Blick von weiter außen brachten der Student und gebürtige Engländer Thomas Richomme sowie Anthony Soares vom Zentrum für grenzüberschreitende Studien in Nordirland mit in die Diskussionsrunde. Über die Frage der Zuständigkeiten und Finanzmittel hinaus berichteten sie von ihrer Überzeugung, Grenzen als interkulturelle Schnittpunkte zu leben, an denen sich Menschen und Strukturen durch Austausch, Kommunikation und Zusammenarbeit gegenseitig friedlich bereichern können.

Die umfangreichen Ergebnisse aller Themenworkshops und der Abschlussdiskussion des deutsch-französischen Bürgerdialogs werden vom Eurodistrikt und TEIN4Citizens in einem Bericht aufbereitet, der anschließend als konkrete Handlungsempfehlung an den Eurodistrikt-Rat, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission übermittelt wird.

Der Bürgerdialog wurde im Rahmen des Programms INTERREG V Oberrhein „Einbindung der Zivilgesellschaft in den Gebieten der Eurodistrikte“ von INTERREG-Fördermitteln kofinanziert und das TEIN4Citizens Projekt mit einer Kofinanzierung durch das EU-Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ unterstützt.